Montag, 23. Januar 2012

Erinnerung.

Das ICQ-Fenster auf der linken Seite des Bildschirms, irgendeine ICQ-Version von 2007. Ihre dunkelrote Comic Sans MS Schrift, Schriftgröße 12, glaube ich.

"nerv net atu -.-"

Schmerz. Angst. Selbstzweifel.
War ich wieder zu aufdringlich? Ich wollte doch nur Zeit mit ihr verbringen, mit ihr reden, ihren Worten lauschen. Ihre Stimme hören, die mich immer irgendwie an eine Elfe erinnert hat, so klar und zart.. manchmal zumindest.
Sie hat mich selten beim Namen genannt. Auch nachdem wir schon einige Jahre beste Freundinnen waren, nannte sie mich noch oft Atu, was die Abkürzung meines früheren Chatnamens war. Sie sagte mir auch mal, weshalb. Weil ich keinen richtigen Namen verdiene. Okay, also Atu, das wertlose Ding, welches nicht gut genug ist, um einen Namen zu besitzen. Manchmal nannte sie mich auch einfach nur Bimbo.
Bimbo war eigentlich sogar recht treffend. Ich habe alles für sie getan, war wie besessen. Wurde regelmäßig vor Freunden und manchmal auch Fremden gedemütigt und bloßgestellt, aber lief ihr weiterhin nach wie ein Hund. Habe ihr bedingungslos vertraut und sie vergöttert. Sie war alles für mich. Meine ganze Welt.
Sie hat mich nie wirklich beleidigt. Stattdessen hat sie Fakten aufgezählt. Dass ich dumm und nutzlos sei. Dass ich es nie zu etwas bringen würde. Dass ich wertlos sei. Nein, das waren keine Beleidigungen. Für mich war es, sobald sie es aussprach, die absolute Wahrheit.
Klar, sie hat mir auch oft geholfen. Schließlich war sie doch meine beste Freundin, die immer für mich da war wenn ich sie brauchte. Ich konnte mit ihr über alle meine Probleme reden und sie hatte immer eine Lösung parat. Oder eine neue Wahrheit, je nach Stimmung. Und wenn sie - meine beste Freundin! - mir immer half, dann war es doch selbstverständlich, dass ich auch machte was sie sagt. Denn so funktioniert Freundschaft, sagte man mir zumindest.

Als ich dann Jahre später realisiert habe, wie sehr sie mich all die Zeit manipuliert hat, zerbarst meine Welt in tausend Stücke. Ich hatte es immer irgendwie geahnt. Wäre auch besorgniserregend wenn nicht. Aber es hat sehr lange gedauert, bis ich es wirklich realisiert habe. Ich habe einen Monat lang fast jeden Tag geweint und wollte nur noch sterben. Teils wegen der Manipulation, teils weil ich sie, die doch meine ganze Welt war, verloren hatte. Im nächsten Monat fing ich an zu planen. Sie sollte leiden, so wie ich die letzten Jahre gelitten habe. Ich wollte die Angst und die Verzweiflung in ihren Augen sehen, wenn sie erkennt, dass ihr Leben allein in meiner Hand liegt.
Ja, ich wollte sie umbringen. Und das ist nicht nur so dahergesagt. Ich hatte es bis ins kleinste Detail geplant. Erst sollte sie sterben, dann ich.
Ich habe den Plan, wie man sieht, nicht durchgeführt. Kurz darauf kam ich das erste Mal in eine Klinik, geschlosse Station.

Es ist erschreckend, dass mich das tatsächlich noch belastet. Das Ganze ist jetzt zweieinhalb Jahre her. Inzwischen reden wir ab und zu sogar, zwischendurch waren wir sogar wieder "Freunde". Aber seit einer Weile ist es nur noch ein Kräfte messen zwischen uns. Es sind winzig kleine Dinge, die niemand anderes bemerkt, oft nur einzelne Wörter oder Gesten. Für sie ist es vermutlich ein simpler Spaß, die kleine, hilflose Atu genau wie damals in ihre Schranken zu weisen. Für mich ist es, nach all den Jahren, endlich die Chance, mich zu beweisen. Zu zeigen, dass sie nicht besser ist als ich. Dass ich genau so stark bin wie sie. Dass sie keine Macht mehr über mich hat.
Aber meistens versage ich.

Wieso ich den ganzen Mist, den vermutlich eh niemand wirklich verstehen wird, jetzt aufschreibe? Ganz einfach.
R. sagte beim Telefonieren eben "Nerv mich jetzt nicht damit". In meinem Kopf wurde es innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde zu "Nerv mich jetzt nicht", "Nerv mich nicht", "Nerv nicht". Womit wir dann beim ICQ-Fenster wären.

"nerv net atu -.-"

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