Montag, 14. Mai 2012

Erst frisst sie dich auf - dann kotzt sie dich aus.

"Ich weiß, dass ich was verändern muss.
Ich verdränge es nur zu gerne. Und wie jeden Tag hallt nur ein einziger Vorsatz durch jedes über- und zugleich unterzuckerte Blutgefäß meines Körpers:
Heute ist das letzte Mal, ab morgen ändere ich alles!"

Ein tolles Buch. Wirklich. Ich liebe es. Toll und irgendwie erschreckend. Dort stehen meine Gedanken und Gefühle, 1:1 aufgeschrieben, als würde die Autorin das Wirrwarr in meinem Kopf ordnen und in Worte fassen. Nur mit dem Unterschied, dass es in diesem Buch weiter geht. Kein ewiger Stillstand. Es regt zum Nachdenken an, mehr als jedes andere Buch zuvor, und vor allem lenkt es meine Gedanken in die richtige Richtung.

Ich hab mal einen Teil von Kapitel 13 abgetippt. Meine Lieblingsstelle. Ein Traum der Protagonistin..




Ich laufe einen Weg entlang. Es ist noch richtig dunkel, die Bäume sind nicht mehr als Schemen, der Blick reicht immer nur für die nächsten Meter, bis er im Dunkel versiegt. Die Dämmerung braucht noch einige Momente, bevor sie sich bereit erklärt, die Situation aufzuhellen. Es ist leicht neblig, man erkennt es am Dunst im Licht der Straßenlaternen. Kurz bleibe ich stehen und lausche nach Geräuschen, doch außer Stille ist nichts zu vernehmen. Schließlich schiebe ich mir die Knöpfe meiner Kopfhörer in die Ohren und verlasse die Straße, verschwinde in den Wald, renne los. Kein unkontrolliertes Davonrennen; ein gleichmäßiges Laufen, schwungvoll, energisch und doch ruhig.
Die Musik ist so laut, dass ich mein eigenes Laufen nicht mehr höre, das Knirschen meiner Füße auf dem Kiesweg verebbt irgendwo auf dem Weg ins Innere meiner Ohren und wird durch rythmische Klänge ersetzt, die es mir leicht machen gleichmäßig vorwärtszukommen, den Takt einzuhalten, konstant die Atemfrequenz zu beachten. Es passiert wie von alleine, man verschwendet kaum mehr Energie dafür, seinen Rythmus zu halten, man schwebt beinahe selbstlos im Gleichmaß vorwärts, ohne dass es weiter eine Eigeninitiative dafür benötigen würde.
Heute suche ich vergebens nach diesem Zustand. Vielleicht ist es nur die fehlende Übung, ich jogge einfach zu selten, stöbere ich anhand meines Verstandes nach Ausreden, während mein Kopf langsam rot anläuft,  weil ich mit dem Atmen nicht mehr hinterherkomme und keine ausreichende Stetigkeit entwickeln kann. Meine Füße stolpern mehr, als dass sie schweben und meinen Blick auf das Display gerichtet, klicke ich alle zehn Sekunden nach einem neuen Lied, weil heute keines rythmisch genug ist. Ich habe nicht das Gefühl  anständig vorwärtszukommen, torkele nur so in der Finsternis ein wenig umher und ärgere mich über die fehlende Laufharmonie. Nach Sauerstoff ringend, gehen meine Gedanken schon wieder auf Reisen, während ich mit der körperlichen Anstrengung zu kämpfen habe. Die Frustration über meinen mangelnden Elan legt sich über meine Leistungsfähigkeit wie ein Schatten, was mich noch mehr frustriert. Das macht keinen Spaß, flüstert jemand verdrossen und schmälert so eindringlich meinen ohnehin schon zweifelnden Willen nach der Sinnigkeit im Einfach-So-Rennen. Es ist gesund, hält mein Verstand eisern dagegen. Es macht schlank und fit und glücklich.
Die Dämmerung lässt auf sich warten, es ist immer noch stockdunkel und ohne eine einzige Straßenlaterne, dafür voller verdunkelter Umrisse und gerade der finstere Himmel ist noch das Hellste, was man irgendwie ausmachen kann. Fit, schlank, gesund, wiederhole ich nachdrücklich an meine Kondition. Aber glücklich?, wiederholt wer anders fast spöttisch und vor meinen Augen erscheint mein eigenes japsendes Abbild, das verzweifelt versucht, die vorgenommene Route komplett durchzujoggen. Lüg doch nicht, du bist doch nicht glücklich, lässt dieser jemand nicht locker und macht sich nun sichtlich über mich lustig.
Verzweifelt versuche ich denjenigen zu ignorieren, aber es ist fast, als gäbe gerade mein strauchelnder Körper ihm recht. Vergrämt schnappe ich nach Sauerstoff, versuche tief zu atmen, doch es reicht nicht aus und ich bekomme pochendes Seitenstechen. Widerwillig ignoriere ich auch das, zwicke mir mit der Hand in die Seite, um den Schmerz zu lindern, was nicht funktioniert. Es ist eisig kalt, meine Hände, Ohren und Füße spüre ich kaum mehr, mein restlicher Körper stattdessen ist überhitzt.
Ach, das ist doch bescheuert!, sage ich laut und lasse mich schließlich kraftlos auf den Boden fallen, als hätte man den Badewannenstöpsel gezogen und mit einem versickernden Geräusch ist alle Energie aus mir gewichen. Träge bleibe ich zusammengesunken sitzen und kühle mit meinen kalten Händen von der eisigen Luft rot glühendes Gesicht.
Je länger ich sitzen bleibe, desto weniger Lust habe ich wieder aufzustehen. Man hängt so seinen Gedanken nach und hofft, in ihren irgendwo eine neue Eindringlichkeit zu finden, Restreserve, Entschlossenheit, Bemühungen, Bestimmtheit - einfach jegliche Art von Energie, die einen dazu veranlasst, wieder aufzustehen und loszulaufen. Unstet schweifen die Denkinhalte umher, ohne mir sowas wie einen neuen Antrieb zu verschaffen.
Plötzlich weicht meine Resignation einer Angst, weil ich dennoch nichts finden kann. Mir fallen unzählige Dinge ein, die es definitiv WERT wären, wieder aufzustehen, doch verbleibt die verdammte Frage, ob es sich denn tatsächlich auch LOHNEN würde? Ein schaler Beigeschmack, der spottend auf meiner Nase tanzt und grienend frangt. Und, machts dich glücklich? Vermags dich schlank und fit und gesund zu machen, aber machts dich auch glücklich?
Bin ich einfach zu faul und disziplinlos?, frage ich leise und geknickt zurück, mit hängendem Kopf und einem schuldbewussten Blick. Würde ich all diese Energie, die ich in meine Gedanken stecke; alle Energie, die cih in die Bulimie stecke, stattdessen in die Schule stecken, könnte ich ein verdammt gutes Abitur machen. Und machts dich glücklich?, echot die Spöttelei ein ums andere Mal und drängt mich in ihrer argumentativ schlagenden Nicht-Argumentation in die Ecke, grinst und grinst und grinst mich überheblich an und bringt mich damit zum Weinen. Ein Blick nach rechts, ein Blick nach links, aber egal wie lange und wohin man rennt, ich werde keinen Raum finden, in dem ich mich davor verstecken kann.
Bitte lass mich in Ruhe, flehe ich leise, aber wie soll man sich selbst in Ruhe lassen?
Komm schon, hör endlich auf zu rennen, haucht der Spott so leise, dass er fast freundlich klingt.
Aber ich renne doch gar nicht mehr. Meine verbal in die Ecke gedrängte Stimme zittert.
Doch, du rennst! Du rennst seit Jahren! Und da ist er wieder, der blanke Hohn, der mich schonungslos ohrfeigt, weil er nichts als die Wahrheit gelten lässt. Vergebens suche ich nach dem Mauseloch, indem ich mich verstecken kann, einer Argumentation, die mich schlüssig klingen lässt, einem Rettungsboot, dass mich aus der Situation rausholt, einfach rausholt.
Du rennst ja immer noch, nicht mal jetzt hörst du damit auf! Hör auf damit!, poltert jetzt Zorn und stellt sich mit in die Hüften gestemmten Händen neben den Spott und sieht mit funkelnden Augen auf mich herab, am Boden zusammengekauert und hilflos.
Meine Hände sind von meinem heißen Gesicht warm geworden und können es nicht mehr kühlen, doch ich lasse sie schützend an meinen Wangen liegen, als hätte ich Angst, wieder geohrfeigt zu werden. Zu Recht, spöttelt da wieder der Spott und ich muss erkennen, dass nicht mal meine Gedanken sicher sind. Die Angst setzt sich zu mir und hebt beschwichtigend ihre Arme, aber sie hat in dieser Diskusion kein Gewicht.
Es ist so dunkel, sage ich nur, um irgendwas zu sagen. Der Zorn verdreht die Augen und sagt kopfschüttelnd: Du bist so dumm.
Ich fühle mich beleidigt, habe das Gefühl eine Entschuldigung einfordern zu müssen, mich in irgendeiner Form zu verteidigen oder ihn wenigstens auch zu beleidigen, aber ich halte den Mund.
Eine Weile schweigen alle, die Dunkelheit schnürt mir langsam die Kehle zu, die Stille macht mich taub und die Frustration weicht etwas anderem, aber mir fällt der Name dafür nicht ein.
Nein, es macht mich nicht glücklich, schluchze ich nach noch einer Weile ergeben und erdrückt und endlich verraucht der Zorn und der Spott setzt sich neben mich und legt seinen Arm tröstend um meine Schultern, wie ein Freund.
Welcher Idiot geht schon morgens, wenns noch dunkel ist, joggen? Vorsatz hin oder her, was bringt es mir eine zwar durchtrainierte, dünne Tussi zu sein - habe ich jemals wirklich gedacht, dass mir das irgendwas bringt? Wenn das wirklich das einzige Ziel ist, dass man hat ... nein, ich meine - ich labere schon wieder. Ich rede schon wieder irgendeinen bedeutungslosen Kram, der nichts mit der Sache zu tun hat. Die ganze Zeit verstricke ich mich in irgendwelchen trivialen Erklärungen, Muster, Ausreden, Laberei, Gerede, Rumgetue und verdammt, ich habe keine Lust mehr joggen zu gehen, nur weil irgendwer behauptet, das ist gesund. Wenn ich Bock habe, Sport zu machen, dann werd ich das schon. Verflucht - was ist nur los mit mir? Den ganzen Tag verschwnde ich mit Nebensächlichkeiten, mit sollte und wäre sinnvoll und zehntausend scheinheilige Gründe später hat sich noch immer nichts geändert und ich weiß nicht, was ich tun soll. Und es ist verdammt noch mal immer noch scheiß dunkel hier, warum ist es immer dunkel, verdammt.
Ich habe gar nicht gemerkt, wie ich begonnen habe, wild mit den Armen zu fuchteln, um meine wirren Worte mit Gesten zu untermalen, wie ich fluche und ohne erkennbaren Hintergrund verstörte Worte aneinanderreihe und was auch immer dabei herauskommt. Doch der Spott scheint besänftigt, liebevoll streicht er mir die verwirrten Tränen aus dem Gesicht und wird ganz ohne, dass ich es merke, ein liebender Teil von mir, jemand, der mir zur Seite steht, wie die Freundlichkeit, der mich im Arm hält und mir hilft und der aufsteht und mich ohrfeigt, wenn ich es brauche, um zu kapieren, dass ich wegrenne, versteckt hinter zehntausend scheinheiligen Gründen, die genauso scheinheilig sind, wie sie beschrieben werden. Und der Spott sagt ganz ohne Spott: Finde heraus, was dich glücklich macht. Hör auf, dieses Bedürfnis zu begehren oder es gegen Scheinheiligkeit austauschen zu wollen. Finde es heraus und halt dich daran fest, es gibt unzählig viele Begebenheiten, die das Leben lebenswert machen.
Ich nicke stumm und antworte dann: Ich weiß doch, dass die Welt schön ist. Nur manchmal ist es so schwer, dass ich das Gefühl habe, es lohnt sich nicht.
Der Spott hört geduldig zu und wiederholt sich so lieblich, dass es sich anfühlt, als würde er mich küssen. Finde heraus, was dich glücklich macht und halt dich daran fest. Und ich verspreche dir, Hoffnung und Gewissheit werden dir zur Hilfe kommen - und dann wird auch endlich die Dämmerung einsetzen.
Wieder nicke ich und schlucke schon wieder zittrig und versuche die neuen Tränen zu verbergen, doch diesmal nicht aus Angst oder Verzweiflung, sondern weil der Spott mir so viel Zuversicht schenkt.
Auch wenn du es dir vielleicht jetzt gerade nicht vorstellen kannst, auch wenn im Moment alles noch so dunkel und finster ist, ich verspreche dir, dass wenn du nur aufhörst wegzulaufen, der Tag kommen wird, an dem du nicht nur wieder widerwillen aufstehen wirst, weil du dich dazu zwingst, sondern du mit beiden Beinen gleichzeitig aufspringst, glücklich und weil du es willst.
Getröstet liege ich in den Armen meines Freundes und kann nicht anders, als ihm zu glauben, weil er es mit solcher Inbrünstigkeit sagt, als wäre alles in ihm davon überzeugt, als glaube er das nicht nur, sondern als wisse er das.
Hoffnung und Gewissheit, beide werden für dich da sein.
Woher weißt du das?, frage ich den Spott.

Weil sie immer schon da sind, du lässt es nur nicht zu, weil du nicht an sie glaubst.
Ich nicke einsichtig und wiederhole seine Worte.
Auch ich bin immer da - sobald du mich brauchst, werde ich da sein lächelt der Spott und ich finde in seinem Blick schon fast wieder einen leichten Spott, aber einen liebevollen, behütenden, kümmernden.
Geh nicht weg, flehe ich, als ich ahne, dass nun schon alles gesagt sein könnte. Ich brauche dich!
Wenn du mich brauchst, werde ich da sein. Versprochen.

Geh nicht weg!, fordere ich nun regelrecht, weil mein Flehen nichts auszurichten scheint. 
Wenn du mich brauchst, werde ich da sein.
GEH NICHT WEG!
Ich verspreche es dir.
BITTE! BITTE! BITTE BLEIB HIER!

Finde heraus, was dich glücklich macht.
BITTE! GEH NICHT WEG, BLEIB HIER!!
Und wenn du es nur endlich zulässt, dann werden Hoffnung und Gewissheit dich stets begleiten.

BLEIB DA! BITTE! DU DARFST NICHT WEGGEHEN! BITTE!! BITTE!!!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen