Donnerstag, 15. Dezember 2011

Dann bin ich eben Weg - Geschichte einer Magersucht.

Ich sitze allein in einer dunklen Höhle. Die Wände um mich herum sind kalt, von der Decke fallen leise und regelmäßig Wassertropfen auf meinen Kopf und rinnen mir übers Gesicht. Denkt nur nicht, es wären Tränen, ihr da draußen, die ihr mein Versteck umringt, um mir aufzulauern. Ruft doch, schreit und beschimpft mich nur, ihr kriegt mich nicht! Ihr wollt mich einfangen, mich besitzen, mich kontrollieren, damit ich brav alle eure Wünsche und Erwartungen erfülle, damit ihr stolz sein könnt auf euer Eigentum. Aber seht ihr nicht, dass ich längst geflohen bin? Die Luft hier drinnen ist muffig und wird bald knapp, aber es ist immer noch mehr, als ihr mir zum Atmen lassen würdet, sobald ich wieder draußen wäre. Ich komme nicht raus. Ich werde nicht zulassen, dass ihr mich wieder vollstopft mit dem, was ihr Essen nennt und was in Wirklichkeit nichts anderes ist als eure Wege, die ich gehen soll, eure Ziele, die ich für auch erreichen soll, angepasstes Verhalten, das ich zeigen soll. Damit ihr weiter glauben könnt, es wäre in Ordnung. Ja, ruft nur nach mir in eurer unbändigen Wir, trommelt mit Fäusten gegen den Ort meiner Zuflucht, dieses Mal werdet ihr ihn nicht zum Einsturz bringen. Meine Zähne schlagen vor Kälte aufeinander, aber hier ist es immer noch wärmer als draußen bei euch. Meine Arme sind wie die eines Skeletts, wenn ich sie um mich schlinge, aber eure sind noch härter, weil sie mich nicht halten, sondern erdrücken. Nahrung ist Liebe und Liebe ist Nahrung, und solange das in eurer Welt niemand begreift, bleibe ich hier, allein mit mir und meinem Hungerstreik. Ich bin gefangen, aber immer noch freier als bei euch.

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